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„Rollstuhlfahrer brauchen Platz!“– Ein Interview mit den Autoren von
„Kein Örtchen. Nirgends.“

Badezimmer haben in unserem alltäglichen Leben einen hohen Stellenwert. Hier kommen wir unserer täglichen Pflege nach und können Kraft tanken. Die Bedeutung von Bädern ist so groß für uns Menschen, dass wir ihnen einen eigenen Tag widmen: Den Tag des Bades am 17. September. Zu diesem Anlass möchten wir uns in diesem Artikel den öffentlichen Bädern widmen. 

Öffentliche WCs sind heute selbstverständlich. An vielen Orten und in vielen Gebäuden sind sie zu finden. Doch nicht immer sind sie barrierefrei und für RollstuhlfahrerInnen zugänglich. Claudia und Bernd Hontschik haben sich aus eigener Betroffenheit heraus diesem Thema angenommen und ein Buch geschrieben. Im folgenden Interview berichten Sie über ihre Erlebnisse und nehmen Sie mit hinter die Tür mit dem Rollstuhl-Icon – mit spannenden Einblicken. 

Foto von Claudia und Bernd Hontschik

CLAUDIA & BERND HONTSCHIK

Claudia & Bernd Hontschik im HEWI Interview

HEWI: Wie ist Ihnen die Idee zu Ihrem Buch gekommen? 

CLAUDIA & BERND HONTSCHIK: Wir haben immer wieder schlechte Situationen mit Rollstuhltoiletten erlebt. Wenn man auf einer Toilettentür das Rollstuhlzeichen sieht, heißt das leider noch lange nicht, dass dahinter alles stimmt. Wir wollten mal alle mitnehmen hinter diese Tür, die normalerweise niemand aufmacht – außer den Betroffenen.

 

HEWI: Was wollen Sie mit Ihrem Buch erreichen?

CLAUDIA & BERND HONTSCHIK: Wir möchten auf einen gravierenden Missstand aufmerksam machen. Der Gedankenlosigkeit gegenüber den alltäglichen Problemen von Menschen mit Behinderungen wollten wir etwas entgegensetzen. Und wir wollten trotz des tabuisierten Themas ein freundliches, ein unterhaltsames und vor allem ein Buch machen, das man gerne in die Hand nimmt.

 

HEWI: Wie steht es um die Barrierefreiheit in Deutschland?

CLAUDIA & BERND HONTSCHIK:  Schlecht. Deutschland ist zwar 2009 dem „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ der Vereinten Nationen beigetreten, aber nach wie vor weit davon entfernt, dass Menschen mit Behinderungen ihr Leben auf „Selbstbestimmung, Diskriminierungsfreiheit und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe“ aufbauen können. Barrieren sind noch immer überall.

 

HEWI: In welchen Bereichen hapert es besonders?

CLAUDIA & BERND HONTSCHIK: Bordsteinkanten, Pflastersteine, Treppen, Eingangsstufen sind oft eine riesige Herausforderung. Die meisten Probleme lassen sich aber mit Hilfe überwinden. Sogar mit schlecht gebauten Toiletten kommt man irgendwie zurecht. Aber wenn es gar keine Rollstuhl-Toiletten gibt, dann ist man aufgeschmissen.

 

HEWI: Was kann man tun, um das Thema „Barrierefreiheit“ in Deutschland zu unterstützen?

CLAUDIA & BERND HONTSCHIK:  Man kann unser Buch kaufen und lesen. Aber im Ernst: Am besten wäre ein Aufstand der Menschen mit Behinderungen, deren Lobby ja sonst kein Gehör findet. Ein Rezensent unseres Buches hat geschrieben: „Wenn die geschätzt zehn Prozent Menschen mit schweren Behinderungen damit drohten (und es wahr machten), keine Partei zu wählen, die ihren Einsatz für Behinderte nicht nachweisen kann, wären die öffentlichen Toiletten schnell barrierefrei.“

HEWI: Wohin könnten sich Planer oder Betreiber von öffentlichen barrierefreien WCs wenden, um eine Beratung zu bekommen?

CLAUDIA & BERND HONTSCHIK: Es gibt genug Beratungsangebote, zum Beispiel bei Selbsthilfeorganisationen wie der DMSG. Es gibt Internetseiten wie Kobinet-Nachrichten, die alle Informationen enthalten und jede noch so kleine technische Frage erschöpfend beantworten wie beispielsweise nullbarriere.de, barrierefrei.de oder bfb-barrierefrei-bauen.de. Es wendet sich zu selten jemand dorthin, die Expertise wird offensichtlich nicht ausreichend abgerufen. Es wäre ein erster, ganz einfacher Schritt, wenn beim Planen und Bauen Betroffene hinzugezogen würden.

 

HEWI: Was sind Ihre Top-3-Aufreger in barrierefreien, öffentlichen WCs?

CLAUDIA & BERND HONTSCHIK: Oft steht nicht genügend Platz zur Verfügung, einfach zu wenige Quadratmeter. Rollstuhlfahrende brauchen Platz! Zweitens stimmt die Inneneinrichtung oft nicht, wenn z.B. das Waschbecken den Weg zur Toilette versperrt.
Das dritte Problem ist Gerümpel, wenn das WC als Putzraum zweckentfremdet wird, als Lager für Vorräte oder kaputtes Gerät.

Vor einigen Monaten haben wir die renovierte Moritzburg in Halle besucht, wo mit faszinierender Architektur Altes und Modernes verbunden wurde. Im Untergeschoß war ein barrierefreies WC, das auf den ersten Blick sehr gut aussah. Es war geräumig und ästhetisch ansprechend gestaltet. Aber dann fanden sich gravierende Mängel.

Die Toilette war so hoch angebracht, dass die Füße in der Luft hingen. Der Wasserhahn war aus dem Rollstuhl heraus nicht benutzbar. Der Spiegel hing so hoch, dass der Kopf abgeschnitten war. Und dann stand da auch noch ein Tretmülleimer! Allesamt Fehler, die man bei der Planung des barrierefreien WCs hätte vermeiden können.

Aber nachdem wir dort einen Beschwerdebrief hingeschickt hatten, kam vor kurzem eine reizende Email, dass man Veränderungen vorgenommen und zusätzlich noch ein Notrufsignal aufgeschaltet habe. Man bedankte sich für unsere Anregungen. 
Was schließen wir daraus? Wenn man schon beim Planen und Einrichten Betroffene hinzuziehen würde, könnte man sich viel Aufwand und Ärger mit Nachbesserungen ersparen!

 

HEWI: In Ihrem Buch beschreiben Sie im Kapitel „Juwelen“ gelungene barrierefreie Lösungen. Dabei sind auch Produkte von HEWI verwendet worden. Was gefällt Ihnen an den Lösungen von HEWI? 

CLAUDIA & BERND HONTSCHIK:  Die Funktionen sind gut durchdacht. Das ansprechende Design gibt einer barrierefreien Toilette eine eigene Ästhetik. Die Produkte von HEWI fassen sich sehr gut an. Die Konfiguration der Griffe und Stangen ist so variabel, dass sie an jeden Raum angepasst werden kann. Deswegen haben wir sie auch bei uns zu Hause verbaut.

 

 

Vorgestellt: Kein Örtchen. Nirgends.

Das Buch „Kein Örtchen. Nirgends“ von Claudia & Bernd Hontschik nimmt die Leser mit hinter die Tür des Rollstuhlzeichens in die öffentlichen barrierefreien WCs. Eine Tür, die in der Regel nur von Betroffenen geöffnet wird. 

Das Buch soll auf die Missstände in öffentlichen barrierefreien WCs aufmerksam machen und die Probleme von RollstuhlfahrerInnen in den Vordergrund stellen. Erzählt wird von eigenen Erfahrungen, häufigen Problemen und positiven sowie negativen Beispielen. 

Die Autor*innen haben damit ein unterhaltsames Werk geschaffen, welches bestimmt, aber dennoch mit einem kleinen Augenzwinkern auf die Probleme rund um das öffentliche barrierefreie WC schaut.

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